Die Diplomatie hinter den Sperrzeiten

Die ABS 38 verbessert die Zugverbindungen in Südostbayern. Doch während am Gleis gebaut wird, kann darauf nicht gefahren werden. Diesen Zielkonflikt komplett aufzulösen, ist unmöglich. Aber er kann entschärft werden. Baubetriebsplaner Ronald Klemm stellt sich dieser Aufgabe und erklärt, wie Fahren und Bauen verbunden werden kann.

„Man braucht ein dickes Fell und ist nicht immer der Liebling“, beschreibt Ronald seine Rolle als Baubetriebsplaner bei der ABS 38 und der DTK. Seit September 2020 steht er als Vermittler zwischen den Eisenbahnverkehrsunternehmen (EVU) und dem Planungsteam der ABS 38. Ihm gefällt die Arbeit mit seinen Kolleg:innen gut, doch beiden Seiten kann er es nicht immer recht machen. Die Zugbetreiber wünschen sich eine minimale Auswirkung des Streckenausbaus auf ihre Züge, während das Planungsteam und die Bauunternehmen so schnell und so viel wie möglich am Gleis anpacken möchten. Denn längere Bauzeiten bedeuten für das Projekt nicht nur einen verschobenen Abschluss, sondern führen auch zu erhöhten Kosten. Eine frühzeitige Abstimmung ist wichtig, da die EVU nach dem Anmelden der Sperrpausen noch ein Veto einlegen können, das sich dann zeitverschiebend auf den eng verzahnten Bauablauf auswirken könnte. Deshalb spricht Ronald schon jetzt mit den Projektingenieur:innen und Kund:innen an der Strecke – etwa fünf Jahre vor dem geplanten Baubeginn.

Mit Feingefühl zur gegenseitigen Abstimmung

Ronald stellt sicher, dass sich beide Seiten miteinander abstimmen. Dazu gehört diplomatisches Geschick und Feinfühligkeit. „Die Lösung ist kundenfreundliches Bauen“, verrät er. „Ich stelle sicher, dass die Sperrzeiten sowohl für die EVU und Fahrgäste sowie für das Planungsteam und die Bauausführer:innen zufriedenstellend sind.“ Dabei kann Ronald auf langjährige Erfahrung in der Baubetriebs- und Sperrzeitenplanung zurückgreifen. Seit dem Ende seiner Ausbildung bei der Bahn im Jahr 2002 als Fachwirt Bahnbetrieb hat er sich bei DB Netz AG in verschiedenen Positionen mit dem Thema Fahren und Bauen beschäftigt. Trotzdem ist seine Aufgabe bei der ABS 38 eine neue Herausforderung, da sich optimale Sperrzeiten nach den Besonderheiten der Strecke richten müssen.

Ronald Klemm plant die Sperrzeiten derzeit in seiner selbst eingerichteten „Zentrale“ bei sich zuhause.

Wenn der Zugverkehr rollen muss

Da der Abschnitt Markt Schwaben–Mühldorf–Freilassing noch überwiegend eingleisig ist, hätte jede Sperrung der Strecke für die Arbeiten zum zweigleisigen Ausbau und die Elektrifizierung große Auswirkungen auf die Fahrpläne. Noch gibt es kein zweites Gleis, auf das die Züge ausweichen könnten. So muss der Verkehr über andere Strecken umgeleitet werden oder ganz ausfallen. Besonders zwischen Markt Schwaben und Mühldorf sind längere Sperrzeiten problematisch, da viele Berufstätige auf den täglichen Zugverkehr nach München angewiesen sind. Die möglichen Bauzeiten sind in diesem Abschnitt deshalb neben nächtlichen Sperrpausen weitestgehend auf Ferien und Wochenenden beschränkt. Zwischen Tüßling und Burghausen muss besondere Rücksicht auf die Industrie und den Güterverkehr genommen werden. Eine Alternativroute nach Burghausen gibt es nicht, weshalb längere Sperrungen zu Produktionsausfällen bei den Unternehmen führen würden. Wenn möglich wird deshalb versucht, unter Aufrechterhaltung des Zugverkehrs zu bauen. Doch das sogenannte „Bauen unter rollendem Rad“ ist nicht bei allen Arbeiten im Zuge des Ausbaus möglich. Gleissperrungen sind somit unvermeidbar. Welche Sperrzeiten kundenverträglich sind, wird frühzeitig mit den betroffenen EVU abgestimmt.

Gleisarbeit rund um die Uhr

Nachdem Ronald festgestellt hat, zu welchen Zeiten Arbeiten am Gleis möglich sind, geht es darum, diese so effizient wie möglich zu nutzen. „Bei einer Gleissperrung sollten möglichst immer Arbeiten mehrerer Gewerke gleichzeitig stattfinden, und zwar rund um die Uhr“, erklärt er. Wenn keine Züge fahren laufen die Arbeiten also im Mehrschichtbetrieb. Auch nachts kann am Gleis gearbeitet werden, zum Schutz der Anwohner:innen allerdings ohne den Einsatz von lärmintensiven Maschinen. Beim Bau von Großprojekten wie der ABS 38 können die Bauphasen jedoch mehrere Monate oder Jahre dauern. Bei solchen Projekten könnte selbst bei bestmöglicher Ausnutzung der Sperrpausen der Einschnitt in den Verkehr zu groß sein. Deshalb prüft Ronald in enger Abstimmung mit den Kolleg:innen von Fahrplan und Baubetriebsplanung auch die Kapazität der Infrastruktur des Bauabschnitts und der Umleitstrecken. Ist die Kapazität der Strecken nicht ausreichend, muss die bestehende Infrastruktur durch Bauweichen, Gleisverbindungen oder zusätzliche Signale verbessert werden, um den Zugverkehr während der langen Bauphasen aufrecht zu erhalten.

Vorausschauend zum Ziel

Derzeit ist Ronald viel im Gespräch mit den Teilprojektleiter:innen und Projektingenieur:innen der ABS 38 und überprüft gemeinsam mit ihnen die Kundenverträglichkeit der aktuellen Planungen. Wenn die Bauphasen projektintern final abgestimmt sind, meldet er die Gleissperrungen bei der Baubetriebsplanung der DB Netz AG an. Bevor der Bau beginnen kann, ist noch die Genehmigung der angemeldeten Sperrpausen nötig, die im Falle einer Ablehnung durch die EVU gefährdet wäre. Je besser also die Abstimmung mit allen Beteiligten im Vorfeld gelaufen ist, desto geringer ist das Risiko, dass Sperrpausen nicht genehmigt werden.