Brückenbau ist König und auch ein Trumpf bei der ABS 38

Zwei der Brücken-Experten im Großprojekt ABS 38 sind Teilprojektleiter Cristian Radulescu (links) und Sven Kluba, Leiter Streckenabschnitt ABS 38 West.

Langweiligen Ingenieurbau gibt’s woanders! Die ABS 38 greift gerne zu innovativen Maßnahmen. Nicht von ungefähr setzt das Bahn-Großprojekt in Südostbayern beim Brückenneubau nicht nur konservative Ideen um. „Wir haben einige waschechte Brücken-Experten bei uns an Bord, die unser Projekt mit ihren vielfältigen Erfahrungen und Vorschlägen stetig voranbringen“, berichtet der Gesamtprojektleiter Klaus-Peter Zellmer stolz.

Über oder unter 166 Brücken muss ein Zug bei der ABS 38 fahren!

Einer dieser Spezialisten ist neben dem Gesamtprojektleiter auch Cristian Radulescu. Der Teilprojektleiter im Planungsabschnitt 1 (PA01) taucht fachlich gern tiefer in die Welt des Brückenbaus auf der ABS 38 ein, denn: „Der Brückenbau ist für mich die Königsdisziplin im Bauingenieurwesen. Brücken sind baulich vielfältige, geschichtsträchtige Bauwerke und: Brücken verbinden!“

Die Ausbaustrecke 38 beherbergt insgesamt 166 Brückenbauwerke auf ihren 145 km von München über Mühldorf nach Freilassing und Burghausen. Genau genommen sind es 134 Eisenbahnüberführungen – wenn eine Eisenbahn darüberfährt – und 32 Straßenüberführungen – wenn über die Bahn eine Straße führt. Viele dieser Brücken werden umgebaut, neugebaut, teilerneuert oder speziell für die Streckenelektrifizierung angepasst, weil sie z.B. zu niedrig für die Oberleitungen sind oder mit Berührungsschutz versehen werden müssen.

Gegenüberstellung von Eisenbahnüberführung/EÜ (links) und Straßenüberführung/SÜ.

„Es gibt einige Perlen auf unserer Ausbaustrecke“, betont Cristian Radulescu. Dazu zählt der Teilprojektleiter die Stabbogenbrücke im PFA 1.2 (Wörth), die vorgespannte Plattenbalkenbrücke im PFA 1.6 (Schwindegg), verschiedene Verbundbrücken, dabei eine Dreifeldverbundbrücke im PFA 1.2 (Schwillach). Letztere ist zugleich mit 85 Metern Länge und 10 Metern Höhe das größte Brückenbauwerk im Planungsabschnitt PA01, wo mehr als 70 Brücken neu geplant werden.

Diese Beispiele belegen die Variation an Bestandsbrücken bei der ABS 38: 1=Stahlbrücke, 2=Rahmenbrücke (WiB-Überbau), 3=Bogenbrücke, 4=Vorgespannte Plattenbalkenbrücke

Der Planungsabschnitt 3 (PA03) setzt noch eins drauf: Er bietet 96 Brücken im Bestand. Unter ihnen befinden sich ebenso einige charakteristische Bauwerke und noch dazu die größte Brücke auf der gesamten ABS 38. „Die historische Mehrfeldbrücke führt die Eisenbahn auf einer Länge von 138 Metern über die Alz. Sie befindet sich im Gemeindegebiet von Garching im Planfeststellungsabschnitt 3.1 und genießt Denkmalschutz. Deshalb sieht unsere Bahnausbauplanung für die Zweigleisigkeit vor, unmittelbar daneben eine zweite, neue Brücke zu errichten. Sie soll sich, möglichst im Stil der bestehenden denkmalgeschützten Brücke, harmonisch in die Landschaft einfügen“, erklärt Projektleiter Tonci Ujdur.

Ein imposantes Bauwerk im PFA 3.1 ist die Mehrfeldbrücke über die Alz in Garching.

Brückenbauwerke kann man verschiedenartig einteilen, beispielsweise nach dem Material, nach dem Querschnitt oder, am gängigsten, nach dem Hauptträger. Als klassische Variante, die früher oft gebaut wurde und im Bestand der ABS 38 zahlreich zu finden ist, gelten die so genannten WiB-Überbauten. Walzträger-in-Beton (kurz: WiB) nennt man eine Verbundbauweise für kurze Überbauten. „Da ihr andere, modernere Brückenmodelle allerdings mittlerweile den Rang abgelaufen haben, werden diese Bauwerke bei der ABS 38 zumeist neu gebaut“, erzählt Cristian Radulescu. Während Bahnbrücken früher auch als Holzfachwerkbrücken sowie Bogenbrücken aus Mauerwerk und Stein errichtet wurden, wird heutzutage Stahlbeton, Stahl oder ein Verbund aus beidem üblich verwendet.

„Die meisten Brückenbauwerke entlang der ABS 38 werden als Balken- oder Rahmenbrücken aus Stahlbeton geplant. Die Varianten zu dieser Bauart werden in den technischen Regelwerken bei der Deutschen Bahn wie der Ril 804 abgebildet und darin als standardisierte Personenunterführung bzw. standardisierte Rahmenbauwerke bezeichnet“, erklärt Cristian Radulescu. Vorwiegend entstehen die Rahmenbrücken entlang der Ausbaustrecke 38 an bestehenden Kreuzungspunkten und Straßen oder dort, wo Bahnübergänge ersetzt werden.

Mit der Trogbrücke zwar nicht hoch hinaus, doch im Projekt voran!

Ehe eine Brücke allerdings ausgeplant wird und letztlich zur Umsetzung kommt, bedarf es einiger Abstimmungen mit zentralen Kreuzungspartnern wie den Gemeinden. Oft wird dabei mehr als eine Brücken-Variante näher beleuchtet.

Sven Kluba ist ebenso ein ausgewiesener Brücken-Experte im Großprojekt. Der Leiter des Streckenabschnitts West der ABS 38 skizziert als aktuelles Beispiel die Variantenentscheidung für eine Brücke im Stadtgebiet von Dorfen: In dem Ortsteil Wasentegernbach soll eine Trogbrücke entstehen. Dies ist ein Brückentyp, der sich speziell für Eisenbahnüberführungen oder Überführungen von Fuß- und Radwegen über Bäche oder kleine Flüsse eignet. „Dabei sind die Haupttragelemente nicht wie bei einer konventionellen Brücke in der Fahrbahnplatte, sondern seitlich neben und über der Fahrbahn angeordnet“, beschreibt Sven Kluba.

„Diese Brückenart an sich haben natürlich nicht wir erfunden, aber sie gilt als Sonderlösung im Ingenieurbau und hält nun auch Einzug in unserem Projekt“, betont er. Der Wunsch des Landkreises Erding sei es, die Höhe des Brückenbauwerks – genau genommen eine Kreisstraßenüberführung – so gering wie möglich zu halten. Im Bestand liegt an derselben Stelle aktuell noch ein Bahnübergang, aus dem nun eine Straßenüberführung wird. "Soll eine Brücke niedrig sein, ist der Überbau zu reduzieren“, erklärt Sven Kluba. In Wasentegernbach seien hierfür mehrere Varianten infrage gekommen.

Eine normale Stahlbrücke schied schnell aus: „Sie ist aufgrund ihres Materials innerorts wenig geeignet, vor allem aufgrund der Geräuschentwicklung, wenn ein schwereres Fahrzeug drüber rollt.“ Mit einer zweiten Variante konnte das Bauwerk zwar bereits von der Höhe im Vergleich zur Ursprungsvariante reduziert werden, für den Landkreis aber zu wenig. „Die Trogbrücke kam kürzlich als dritte Variante ins Spiel – und mit ihr war die Vorzugsvariante geboren“, erzählt der Leiter des Streckenabschnitts West. Nicht nur, dass der Lärm deutlich geringer sei, auch die Höhe bleibt reduziert. Denn die Fahrbahnhöhe der Brücke könne letztlich um 1,20 m abgesenkt werden. Noch dazu bringt eine Trogbrücke keinen Mehraufwand mit und ihre Bauzeit ist mit anderen Brücken vergleichbar. „Ich kann mir gut vorstellen, dass wir das Trogbrückenmodell auch anderenorts auf der Ausbaustrecke 38 noch umsetzen“, sagt Sven Kluba.

Darstellung der Höhenreduzierung im Querschnitt

Je nach Größe und je nachdem, wie aufwendig die Maßnahme ist, kann die Herstellung eines Brückenbauwerks im Übrigen einen Zeitraum von Monaten bis Jahre in Anspruch nehmen. Angesichts der Vielzahl an Brücken entlang der Ausbaustrecke 38 und einer anvisierten Inbetriebnahme um das Jahr 2030 gibt es in Sachen Brückenbau noch Einiges für das Großprojekt zu tun!